• Jonas Egli
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Voll, voller, Art Basel

Es ist wieder soweit, wir tummeln im Getümmel als gäbe es kein morgen. Zwischen Begeisterung und Verdruss. Art Basel, geliebtes Sorgenkind. 

Die grösste Stärke der Art Basel ist zugleich auch deren deutlichste Schwäche: Alles, was man sich nur wünschen kann, ist auf engstem Raum versammelt. Wer Kunst mag, der wird kaum je so aus dem Vollen schöpfen können, wie auf den zwei Stockwerken der Messe. Und an der Art Unlimited, und Art Parcours, dazu noch ein Filmprogramm, ein Theaterstück, eine Designmesse, die Liste, die Swiss Art Awards, Scope, Volta, eine Buchmesse. Das heisst aber auch: Egal, wie gut das Essen ist, irgendwann ist man einfach satt. Am Megabuffet einer Kunstmesse ist das bisweilen sehr bald der Fall.

Schon alleine die Entscheidung, wo man beginnen soll, bestimmt meist auch, wo man aufhört. Nachdem man die ganze Unlimited-Halle abgeklappert hat, fühlt sich der Wechsel zu den Galerien nebenan wie ein Wettessen an und hat man dort zuerst deren Häppchen genossen, ist schlicht kein Platz mehr für die grossen Werke in der Halle 1.

An einem der Preview-Tage treffe ich eine Uni-Professorin der Kunstgeschichte, Bildtheorie, Schwerpunkt zeitgenössische Kunst, etcetera, im Umgang mit selbst den kompliziertesten Werken geschult und seit Jahren praktisch unablässig Bilder am Betrachten und in anerkannter akademischer Umgebung besprechen, besser kann man nicht vorbereitet sein. Sie soll für eine Zeitung eine Zusammenstellung von Arbeiten schreiben, einen kurzen Text zu den für sie wichtigen, spannenden oder sonstwie ausgewählten Kunststücken verfassen. Und findet diese scheinbar simple Aufgabe nun gar nicht so banal. So viel Kunst, was soll man da auswählen und warum und wie? Sie ist nicht die einzige, dieses Gespräch führe ich in den folgenden Tagen immer wieder. Menschen, die Führungen geben oder Journalisten, die Texte schreiben sollen, Leute, die nur einen halben Tag Zeit haben und auch die Einkäufer von Sammlungen, die zuerst an den für sie interessantesten Arbeiten erscheinen müssen, bevor sie jemand wegschnappt. Es geht aber nicht nur um ein Wettrennen, sondern auch um die Ansprüche, die so eine gigantische Schau unterschwellig an einen richtet.

Das Dilemma hat zwei Seiten: Entweder weiss man nichts, und ist in ständiger Angst, als der Banause, der man ist, überführt zu werden, oder man weiss viel und läuft ständig Gefahr, als der Banause enttarnt zu werden, der man nicht sein darf. Ein Herr im Anzug, mit einem wahrlichen Sammelsurium von Pässen und VIP-Karten um den Hals geht mit einer älteren Frau, sie ist vermutlich seine Mutter, durch die Gänge zwischen den Stellwänden. Sie zeigt immer wieder auf ein Bild und fragt ihn aus. Von wem ist das, was sagt es aus, von wann? Mehr als einmal kommt er ins Stocken, muss einen verstohlenen Blick auf das Schildchen neben dem Kunstwerk riskieren, um sich selber auf die Sprünge zu helfen, es ist ihm ganz offensichtlich schrecklich unangenehm. Doch sein Kopf ist voll, die Augen überflutet, er droht, unterzugehen. Er ist damit kaum allein.

Es ist tatsächlich fraglich, warum man sich es antun soll, verloren in den Gängen immer wieder die Gretchenfrage zu stellen: “Das soll Kunst sein??”. Entweder sind die anderen vollkommen übergeschnappt, oder man selbst ist ein absoluter Tölpel. Doch immer wieder gibt es gewisse Dinge, die spannender sind, die mehr bieten oder etwas, wofür man halt gerade eine besondere Schwäche hat. Es gilt, die eigene Schwachstelle zu finden und die Kunstwerke, die in diesen wunden Punkt passen. Dies können minimalistische Gemälde sein oder skurrile Skulpturen, Performances oder Videos. Dieses Jahr sind das für mich besonders jene Installationen, die ein Erlebnis bieten, wo man in eine andere Welt versinken kann, Kunst, die einen umgibt und entführt. Jene, die auch mit mir interagieren statt nur ich mit ihnen. Oder die Geschichten erzählt.

Sol Calero, Casa de Cambio,2016, zu sehen im Sektor Statements. Bild: Laura Bartlett Gallery.

Sol Calero’s Installation, welche den Stand der Galerie in einer farbenfrohe Wechselstube verwandelt hat, ist natürlich auch subtil eine Referenz auf das Umfeld, in welchem sie gezeigt wird. Calero, vor nicht allzu langer Zeit im S.A.L.T.S in Birsfelden zu sehen, ist in kurzer Zeit zu viel Ansehen gekommen. Die 1982 in Caracas, Venezuela, geborene Künstlerin inszeniert gerne solche eigentlich gewöhnlichen Räume wie Klassenzimmer, Haarsalon oder Tanzstudio in ihrer unvergleichlichen Art.

In Art Unlimited ist Kahlil Josephs m.A.A.d. (2014) zu sehen. Ein Video, welches die Ziellosigkeit der mehrheitlich schwarzen, suburbane Bevölkerung von Los Angeles erzählt. Darin ist kaum neues zu erfahren, Hip Hop, Autos, Schiessereien, präkares Leben mit tiefsitzenden Hosen, grassierender Armut und Perspektivlosigkeit. Wie der Film diese Geschichten erzählt, ist aber einzigartig, eine schwer zu beschreibende Folge von Szenen mit kunstvollen Übergängen, narrativen Kunststücken in deren Reihung und die Anordnung mit zwei winklig zueinander gestellten Screens machen die Arbeit zu einem Erlebnis, dass einen nicht loslässt.

Esther Schipper zum Beispiel zeigt im Galerien-Sektor Pierre Huyghes’ Name Announcer (2011) in einer fabelhaften Kombination mit Roman Ondàks Clockwork (2014). Am Eingang des Standes wird man nach dem Namen gefragt, welcher beim Eintreten dann sofort laut ausgerufen wird, und gleichzeitig an der Wand mit einer Liste vermerkt wird. Das eine, jener von Huyghe, ist ein kurzweiliger und irgendwie auch unangenehmer Moment im Rampenlicht und das andere eine stille, aber dauerhafte Registrierung der Anwesenheit. Aus derselben Information machen beide Künstler eine simple, unterschiedliche Transformation, die allen Besuchern etwas von ihrer Transparenz im Getümmel nimmt. Nun huscht man nicht mehr unerkannt durch die Messe, man ist vermerkt, ausgerufen, registriert. Dazu passend ist Zoom Pavilion, 2015, von Rafael Lozano-Hemmer and Krzysztof Wodiczko an der Art Unlimited. Überwachungskameras nehmen die Betrachter ins Visier und zeigen deren Gesichter im Riesenformat an der Wand, zeichnen deren Bewegung- und Interaktions-linien auf und verfolgen einen unablässig. Man betrachtet nicht nur Kunst, sie blickt eben manchmal auch zurück!

Rafael Lozano-Hemmer and Krzysztof Wodiczko, Zoom Pavilion, 2015.

Die Liste der Werke, die in mir etwas bewirken, wird täglich länger.

Sara Cwynars Video, Hans Op de Beeck’s Rauminstallation, Aldredo Jaars blaue Boxen, der um den ganzen Stand von Société gebaute Fels von Timus Si-Qin, das anfängliche Chaos wird allmählich zu einer Reihe von Verbindungen und Fixpunkten.

Es ist etwas vom Allerbesten, wenn man sich eine ganze Woche in diesem Ameisenhaufen treiben lassen kann und noch immer unzählige Dinge verpasst und doch wahnsinnig viel sieht, so dass Abends die simple Frage “Und, was hast heute gesehen?” eine kleine emotionale Explosion hervorruft und kein Wort herauskommt. Wenn auch mit viel Frust verbunden, wenn auch Blasenpflaster und Aspirin dazugehören, irgendwie nimmt man doch Teil an einem unglaublichen Schaffen, welches Menschen mit vollkommender Hingabe und absoluter Ernsthaftigkeit betreiben. Sie würden das auch tun, wenn es die Messe nicht gäbe, wenn stinkreiche Börsenmakler nicht Kunstsammler wären, sie würden das auch tun, und haben das in der Geschichte auch getan, wenn sie dafür ausgelacht und verstossen würden. Diese tiefe Verpflichtung zu eigenem Ausdruck ist immer wieder beeindruckend.

Später befinde ich mich an der Buchmesse I Never Read, welche heuer ihr fünfjähriges Bestehen feiert. Amin Alavi unterhält das Publikum für eine Stunde mit fulminanten Geschichten, gehalten mit dem Schwung eines begnadeten Erzählers und ich denke an Jonathan Meeses’ feurige Rede in der Lounge der Halle 1, mit welcher er seine Parsifal-Inszenierung an den Wiener Festspielen ankündigte, und dabei gleich ein Plädoyer an die Kunst verkündigte, welches von tiefstem Herzen kam: “Zynismus brauchen wir in der Kunst nicht, wir brauchen hemmungslose Liebe!” 

Amin Alavi