Der jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito, 1960
Der jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito, 1960
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Nach dem Krieg ist vor dem Krieg: Schulbücher hetzen Kinder auf

Zweieinhalb Jahrzehnte nach den Jugoslawienkriegen haben sich die damals verfeindeten Völker in ihren einseitigen und unhistorischen Positionen eingegraben. Schon die Schulkinder werden gegen den früheren Feind schon mal in Stellung gebracht.

Erst im letzten September wurde öffentlich, was die serbischen Schüler in der dritten Gymnasialklasse schon zehn Jahre lang über ihre Nachbarn lernen: Albaner, Montenegriner und Bosniaken seien schon seit Jahrhunderten bis auf die Knochen schlecht im Gegensatz zu den Serben mit ihren moralisch besten Absichten.

Es werde "Unduldsamkeit und Hass geschürt", resümierte der heimische Historiker Aleksandar Miletic. Die Kriege beim Auseinanderbrechen Jugoslawiens sind auch nach über 25 Jahren nicht einmal im Ansatz aufgearbeitet.

"Die Politiker verstehen nicht, dass für eine erfolgreiche Zukunft erst die Vergangenheit bewältigt werden muss", sagt die führende serbische Menschenrechtlerin Natasa Kandic der Nachrichtenagentur dpa. Viele Spitzenpolitiker von damals sind heute wieder in höchsten Staats- und Wirtschaftsämtern. Sie wollen lieber die Vergangenheit ruhen lassen.

Geschichte in Schwarz-Weiss

Die beiden wichtigsten Schulbücher im Fach Geschichte in Kroatien und Serbien indoktrinieren die Kinder und hetzen sie damit gegen den Nachbarn auf. Gezeichnet wird ausschliesslich in Schwarz-Weiss ohne Grautöne.

Die eigene Opferrolle ist angeblich schon seit dem 19. Jahrhundert nachgewiesen. Schuld hat ausschliesslich die andere Seite auf sich geladen. Grausamste Verbrechen eigener Leute werden als "Revancheaktionen Einzelner" verharmlost. Während "wir" friedliebend waren und Konflikte auf diplomatischem Weg lösen wollten, waren "die" auf aggressive Eroberungen aus.

Kroatische Halbwüchsige lernen, die Selbstständigkeit ihres Staates sei eine Reaktion auf das schon seit Jahrhunderten bestehende Vormachtsstreben der Serben. Serbische Schüler erfahren, dass der "faschistische kroatische Nationalismus" die Serben bedroht habe und die sich hatten wehren müssen, um nicht selbst ermordet zu werden.

"Weltverschwörung"

Das in den Schulbüchern als Musterbeispiel für Demokratie beschriebene Serbien sieht sich darüber hinaus noch als Opfer einer "Weltverschwörung". "Was das faschistische Kroatien im 2. Weltkrieg nicht schaffte (d.i. die Auslöschung der Serben), das machte die euro-amerikanische Demokratie", wird behauptet.

Die "österreichisch-deutsche Propaganda" strebte danach im Verein mit den USA und den Briten bis in die jüngste Zeit "die Zerstückelung des serbischen Ethnos" an.

Folgerichtig wird den Schülern nach diesem Denkschema erläutert, der deutsche Geheimdienst BND und die amerikanische CIA seien mit grossen Finanzsummen die Steigbügelhalter der kroatischen Selbstständigkeit gewesen.

Probleme bleiben

Völlig unberücksichtigt bleibt, dass die beiden Nachbarn alles tun, um die Probleme noch zu vertiefen. Beide Seiten rehabilitieren seit langem früher als faschistisch klassifizierte eigene Landsleute und errichten neue Statuen für Personen, die der anderen Seite ein Dorn im Auge sind.

So bleiben die vielen Probleme der jüngsten Vergangenheit unbearbeitet: Die im Krieg gestohlenen Kunstwerke, eventuelle Reparationszahlungen, Tausende Vermisste, offene Grenzfragen. Hunderttausende gewaltsam Vertriebene werden dagegen als freiwillig Geflüchtete dargestellt. Über deren eventuelle Rückkehr oder die Entschädigung für ihr verlorenes Eigentum will kaum einer reden.

"Die Beziehungen zwischen Serben und Kroaten besitzen nicht die Voraussetzungen wie zwischen Franzosen und Deutschen nach dem 2. Weltkrieg", weil "für ein Gespräch über die Opfer und Traumata fast kein einziger Schritt gemacht wurde", beschreibt das kroatische Magazin "Globus" das Grundproblem: "Man kann daher nicht erwarten, dass es jemals die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit geben wird".

Kroatiens Staatschefin Kolinda Grabar-Kitrarovic formulierte es kürzlich ein wenig diplomatischer. "Es wird noch viel Wasser die Donau herunterfliessen, bevor wir Freunde werden".