Bild: Pixabay
Bild: Pixabay
  • sda / barfi / keystone
  • Aktualisiert am

Von Nürnberg bis Den Haag: Die Welt hält Gericht

Die Mühlen der internationalen Strafjustiz mahlen langsam. Quälend langsam. Fast ein Vierteljahrhundert dauerte es, bis die Haupttäter für die schlimmsten Verbrechen im Bosnienkrieg verurteilt wurden. Für viele Opfer war das späte Gerechtigkeit. Aber immerhin, es ist Gerechtigkeit, und das ist alles andere als selbstverständlich.

Das Uno-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag hinterlässt zum Abschluss seiner Arbeit zum Jahresende eine beeindruckende Bilanz. Sie widerlegt den zynischen Spruch: Die Grossen lassen sie laufen.

In rund 24 Jahren standen 160 Männer und eine Frau vor den internationalen Richtern wegen Kriegsverbrechen, Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Balkankrieg der 1990er Jahre. Darunter waren Generäle, Minister, Staatschefs, Polizeibosse.

Die meisten der einst so Mächtigen waren sich keinerlei Schuld bewusst. Immer wieder rechtfertigten sie sich: Ich habe nur meine Pflicht getan; ich habe mein Volk verteidigt oder auch: Ich habe von allem nichts gewusst. Doch die Richter waren deutlich: Keiner kann sich hinter seinem Amt verstecken, jeder ist individuell verantwortlich.

Ende der Straflosigkeit

"Das Ende der Straflosigkeit ist das grösste Verdienst des Tribunals", sagt der Niederländer Alfons Orie. Der 70-Jährige war 16 Jahre Richter am Tribunal, zuletzt im Völkermord-Prozess gegen den serbischen Ex-General Ratko Mladic. "Eine bestimmte Kategorie von Mächtigen kam lange straflos davon, doch nun nicht mehr."

Nach 1945 waren Kriegsverbrecher vor die Tribunale von Nürnberg und Tokio gestellt worden. Doch im Kalten Krieg scheiterten alle Versuche, das Ende der Straflosigkeit für militärische und politische Führer auch festzuschreiben.

Gut 45 Jahre später tobte erneut Krieg in Europa nach dem Auseinanderfallen von Jugoslawien. Unter dem Eindruck der Gräuel und wohl auch der eigenen Ohnmacht gründete die Uno 1993 das Jugoslawien-Tribunal.

Doch kaum jemand rechnete damit, dass jemals die Kriegstreiber am Churchillplein in Den Haag erscheinen würden. Der Krieg war noch in vollem Gange. Der Völkermord von Srebrenica - das schlimmste Verbrechen in Europa nach 1945 - sollte sogar erst zwei Jahre später verübt werden.

"Noch bei meinem Amtsantritt 2008", erinnert sich Chefankläger Serge Brammertz, "glaubte niemand, dass wir Karadzic oder Mladic bekommen würden."

Autorität nicht akzeptiert

Doch es kam anders. Ex-Serbenführer Radovan Karadzic wurde 2008 festgenommen und 2016 zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Ex-General Mladic war 2011 gefasst und jetzt im Oktober zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt worden.

Der frühere Staatspräsident von Rest-Jugoslawien, Slobodan Milosevic, landete 2001 in den Zellen im Nordseebad Scheveningen. Bitter bleibt, dass er 2006 starb - vor dem Ende seines Prozesses.

Viele Angeklagten konnten die Autorität der Richter nicht akzeptieren. Der bosnisch-kroatische Ex-General Slobodan Praljak griff sogar zu Zyankali und nahm sich Ende Oktober im Gerichtssaal das Leben.

Es war der radikalste Protest gegen das Recht. In seiner Heimat wird er nun als Held und Märtyrer verehrt und das Tribunal beschimpft. Doch das schmälert den Erfolg des Gerichts nicht.

Das Tribunal sollte kein Einzelfall bleiben. 1994 folgte das Uno-Tribunal zum Völkermord in Ruanda. 2012 verurteilte das Sierra-Leone-Tribunal den Ex-Staatspräsidenten von Liberia, Charles Taylor, im spektakulären "Blutdiamantenprozess" zu 50 Jahren Gefängnis. Und 2002 hatte der erste permanente internationale Strafgerichtshof der Welt seine Arbeit in Den Haag aufgenommen.

Spielball des weltpolitischen Kalküls

Doch trotz aller Erfolge hat das Recht noch lange nicht im Kampf gegen die Straflosigkeit gesiegt. Im Gegenteil. Die Strafjustiz bleibt ein Spielball des weltpolitischen Kalküls.

Wird es jemals einen Prozess zu Verbrechen im Syrien-Krieg geben? Wer wird den von Myanmar verfolgten Rohingya Gerechtigkeit verschaffen?

Das Weltstrafgericht, das solche Prozesse führen könnte, wird von den Grossmächten USA und Russland gar nicht erst anerkannt. Wie wenig Unterstützung es geniesst, zeigt sich am Fall von Sudans Präsident Omar al-Baschir, der seit 2009 wegen des Völkermordes von Darfur mit internationalem Haftbefehl gesucht wird. Doch der politische Wille zu seiner Festnahme fehlt.