Eigentlich kennt unsere Stadt, wie der grösste Teil der Schweiz, seit Generationen zwei Arten von Stammtischen. Da sind einmal die runden Tafeln, meist in der Mitte der Beiz. Noch heute oft bestückt mit einem Eisen-Behälter für Eier, dem obligaten Aromat und - vor dem Rauchverbot - den legendären Brisagos. Hier gilt, jeder Gast kann sich ohne Nachfrage hinsetzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man allenfalls andere Anwesende bereits kennt oder nicht. Nach wenigen Minuten gehört eh jeder dazu. Sinn ist der manchmal durchaus etwas lautere Gedankenaustausch bei einem Rugeli oder Becher, das Tratschen - typische Stammtischgespräche halt, über Gott und die Welt. Grund: das Aufsuchen der Runde kann der Wunsch nach Geselligkeit, aber auch die Flucht von zuhause oder Einsamkeit sein.
Basels Stammtisch-Star: der Tisch der Wahrheit
Berühmteste Vertreter der Gattung ist in Basel noch immer der «Tisch der Wahrheit» im Restaurant Gifthüttli. Hier trafen und treffen sich zu festen Zeiten Leute, die in dieser Stadt etwas zu sagen haben. Schon immer galt: In diese Runde schafft nur, wer dazu berufen wird. Doch so elitär dies auch tönen mag, man spricht Baseldeutsch und das mit der Wahrheit darf nicht päpstlicher verstanden werden als der Papst. Haben sich die Mitglieder verzogen, unter vielen früher zum Beispiel oft ehemalige Regierungsräte, Gewerbedirektoren oder die verstorbene Journalistenlegende Urs Hobi.

Stammtisch im Gifthüttli.
Dann gibt es da noch eine andere Variante der traditionellen Bezeichnung. Manche der alteingesessenen Vereine kämpfen heute mit Mitgliederschwund. In der hektischen Zeit, in der Arbeit, Sport, Familie und Freizeit, möglichst viele Reisen und ein stets top gepflegtes Äusseres unter einen Hut gebracht werden müssen, passen die wöchentlichen Vereinsabende nicht mehr fix in den Wochenplan. Immer mehr Menschen wollen oder müssen ihren Alltag flexibel gestalten und nicht schon im voraus ein bis drei Abende in der Woche «blockieren». Bedauerlich, sind Vereine doch noch immer Zufluchtsorte, Gemeinschaften der Ablenkung, Freundeskreise und Balance zum Alltag. Aber auch Orte der Ideen, Unternehmungen und Ambitionen. Ohne Vereine wäre unser Land um unzählige Projekte ärmer, und trotzdem werden es von Jahr zu Jahr weniger. Eine Gattung der schrumpfenden Tradition hält sich jedoch auch in unserer Zeit noch wacker: Der Vereins-Stammtisch.
Was also ist jetzt dieser Stammtisch?
Die überholte Wikipedia-Definition bezeichnet einen Stammtisch nicht nur alleine als das passende Möbelstück, sondern «sowohl eine Gruppe von mehreren Personen, die sich regelmässig in einem Lokal trifft, als auch den meist grösseren, runden Tisch, um den sich diese Gruppe versammelt.». In alten Zeiten waren es nämlich nicht irgendwelche Personen, die an den Stammtischen Platz nehmen durften. Nur hochrangige Leute, wie es etwa Bürgermeister, Ärzte, Apotheker, Lehrer oder wohlhabende Bauern waren, hatten das Privileg, dem «Dorfstammtisch» angehören zu dürfen. Die Einladung an einen Ortsfremden, am Stammtisch Platz zu nehmen, galt als nicht selbstverständliche Wertschätzung.
Heutzutage ist dies längst Geschichte: Gemeinden und Städte mit traditionellen Gaststätten haben dementsprechend viele Stammtische, die sich - wie angesprochen - aus Personen aller Gesellschaftsschichten zusammensetzen. Das Zusammensein steht im Vordergrund und wird durch Essen, Trinken, Jassen oder vor allem die erwähnten politischen wie auch apolitischen Diskussionen bereichert.
Insbesondere in der Innerstadt haben sich in jüngerer Zeit auch themenspezifische Stammtische gebildet. So beispielsweise Elternstammtische, Networking-Stammtische von Wirtschaftsverbänden, solche für Personen bestimmter sexueller Ausrichtungen oder auch jene zur Weiterentwicklung von Fremdsprachenkenntnissen. Bei dieser Art Stammtisch, «da werden Sie geholfen».
Basel bleibt eine Stammtisch-Stadt
Unsere schöne Stadt am Rhein ist Hochburg vornehmlich zweier Kulturen, welche die «Vereins-Stammtische» seit jeher (hoch)leben lassen. Auf der einen Seite die Fasnacht, auf der anderen die Studentenverbindungen. Letztere spielen beispielsweise im Restaurant Löwenzorn am Basler Gemsberg eine grosse Rolle. Da haben sich zwei Studentenverbindungen, namentlich die Rauracher und die Allemannen, zusammengetan, um die ganze Gebäulichkeit zu übernehmen und den Fortbestand des Restaurants zu sichern. Wichtig ist dabei die hohe Dichte an Stammtischen, die aus aktiven oder ehemaligen Studenten, den Altherren, bestehen. «Wir pflegen einen sehr intensiven Gästekontakt, sind mit den meisten Stammtischgästen auch per Du», sagt Nathalie Tellenbach, stellvertretende Geschäftsführerin des Löwenzorn. Dadurch entstehen sogar gemeinsame Projekte, wie beispielsweise der Maskenball der BMG Clique, welcher in Zusammenarbeit mit den Wirten des Restaurants auf die Beine gestellt wurde.

Stammtisch im Löwenzorn.
Ein Stammtisch im besten Alter
Auf eine jahrzehntelange Stammtischkultur in ihrem Restaurant zurückblicken kann Beatrix Sbriglio, Wirtin des «Elsbethenstübli». Anfänglich als fast reine Stammtisch-Beiz aufgezogen, hat sie über die Jahre hinweg eine starke Abnahme gespürt. Seit 27 Jahren ist sie das Herz des Stübli, zunächst als Serviertochter, wie sie sich selbst betitelt und in den vergangenen 12 Jahren als Pächterin. «Die jungen Leute sind heute viel flexibler, das liegt auch an der wachsenden Konkurrenz» sagt Sbriglio und spricht damit darauf an, dass sich die jüngeren Generationen nicht mehr an eine Lokalität gebunden fühlen, «auch die Ansprüche und die Esskultur haben sich verändert, das ist spürbar.» Zwei Stammtische jeweils dienstags und freitags sind geblieben. Männer, die meisten jenseits der 70, die zuvor in der Nähe arbeiteten kommen zwar nicht mehr täglich, dafür wöchentlich. Der Aschenbecher mit den Stammtisch-Lettern ist einem «reserviert»-Schild gewichen. Dennoch kann sie mit einigen ihrer Stammgäste auf eine rund 40-jährige Vergangenheit zurückblicken.

Einer der beiden Stammtische im Elsbethenstübli.
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