Ein Gespräch mit Prof. Walter Paul Weber, Chefarzt Brustchirurgie, und PD Christian Kurzeder, Chefarzt Senologie und Leiter Brustzentrum am Universitätsspital Basel, über schonendere Behandlungen, antihormonelle Therapien und die Zunahme von zielgerichteten Therapien die das Rückfallrisiko senken können.
barfi.ch: Die Zahl neuer Krebserkrankungen ist in Basel-Stadt und BL von 1981 bis 2010 bei Frauen um etwa 20 Prozent gestiegen. Liegt der Grund alleine in der Zunahme der allgemeinen Lebenserwartung?
Prof. Walter Weber: Wir wissen aus Ländern wie Brasilien und China, dass die Übernahme westlicher Lebensgewohnheiten die Zahl der Krebserkrankungen deutlich ansteigen lässt. Dazu gehören auch zum Beispiel das vermehrte Auftreten von Übergewicht oder das höhere Alter bei Erstgeburt.
Mit 19,1 Prozent aller jährlich neu auftretenden Krebsfälle, was in Basel-Stadt 133 und in Baselland 193 Neuerkrankungen entspricht, liegt Brustkrebs in der Schweiz gleich hinter nicht-melanotischem Hautkrebs. Wie viele dieser Patientinnen können vollständig geheilt werden?
Weber: In der Schweiz können wir heute dank wirksamen Behandlungen mehr als drei Viertel aller betroffenen Frauen heilen.
Wie viele sterben?
Weber: Leider stirbt heute noch immer fast ein Viertel aller Frauen, bei denen ein Brustkrebs festgestellt wird.
Es heisst, dass Stillen das Krebsrisiko senkt. Heisst das auch, dass kinderlose Frauen ein höheres Risiko haben, an Brustkrebs zu erkranken?
Weber: Wir gehen davon aus, dass das Stillen nur einen kleinen Einfluss hat auf das Brustkrebsrisiko, indem es das Risiko für aggressive Brusttumore leicht reduziert. Hingegen ist Kinderlosigkeit ein eindeutiger Risikofaktor für die Entwicklung von Brustkrebs, weil der körpereigene Hormonzyklus nie durch eine Schwangerschaft unterbrochen wird.
Hormonersatztherapien sollen das Risiko für Brustkrebs ebenfalls erhöhen. Auf der anderen Seite kann die Therapie ein Segen für Frauen in der Menopause sein. Was sollen Frauen also machen?
Weber: Die Berichte, dass die Einnahme von Hormonersatzpräparaten das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, stark erhöht, wurden zwischenzeitlich deutlich abgeschwächt. Es hat sich zwar bestätigt, dass einige dieser Medikamente das Brustkrebsrisiko erhöhen, jedoch in geringerem Ausmass als ursprünglich angenommen. Das Risiko ist abhängig von der Art und Dauer der Hormonersatzbehandlung sowie von Faktoren wie Genetik und Körpergewicht. Hat eine Frau während der Menopause starke Beschwerden, kann eine kurzzeitige Behandlung mit einem ausgewählten Hormonpräparat durchaus sehr sinnvoll sein.
Einige Brustkrebsspezialisten sind der Meinung, dass die bisherigen Methoden (Chemotherapie, Bestrahlung, Amputation) zur Bekämpfung von Brustkrebs zu heftig sind. Was ist Ihre Meinung?
Weber: Grundsätzlich sind die Brustkrebstherapien mit der Zeit eher schonender geworden und die Nebenwirkungen können besser behandelt werden. Aber Nebenwirkungen und Komplikationen sind immer noch häufig. Deswegen werden in der klinischen Praxis und Forschung grosse Anstrengungen unternommen, damit die Patientinnen die individuell bestmögliche Behandlung bekommen, um sogenannte Überbehandlungen zu vermeiden.
PD Christian Kurzeder: Grosse Fortschritte in der Brustkrebstherapie wurden zuletzt erzielt durch eine Unterscheidung verschiedener Typen, die sich sehr in ihrer Aggressivität unterscheiden. Häufig nutzen wir sogenannte Multigentests, welche Patientinnen identifizieren können, die keine Chemotherapie benötigen. Die Radikalität der operativen Therapie hat über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich abgenommen. Heutzutage ist die brusterhaltende Therapie für die meisten Patientinnen Standard.
Darf man bei Brustkrebs einfach abwarten oder ist das fahrlässig?
Weber: Wir wissen heute, dass einige Brustkrebsformen nicht fortschreiten und deshalb nicht behandelt werden müssten. Wir wissen aber noch nicht, wie wir diese Brustkrebsformen zuverlässig erkennen können. Deshalb müssen wir heute den allermeisten Patientinnen noch zu einer Therapie raten. Ich denke, dass wir bis in 10 Jahren anhand von genetischen Untersuchungen des Brustkrebses einige Formen identifizieren können, die wir in Ruhe lassen können.
Das grösste Problem sollen Metastasen sein, also eine Streuung des Tumors in der Brust. Ist deshalb die Chemotherapie die richtige Therapie?
Weber: Die Chemotherapie kann Ableger im Körper bekämpfen. Häufig dient sie aber auch dazu, solche Ableger zu verhindern.
Kurzeder: Die Chemotherapie ist nur eine Form der Ganzkörpertherapie, die das Risiko einer Streuung der Krebszellen verringern kann. Für die Festlegung der optimalen Behandlungsstrategie müssen aber viele Faktoren berücksichtigt werden. Wir wissen heute auch, dass nicht jede Patientin von einer Chemotherapie profitiert. Letztlich fliessen viele Faktoren bei der Therapieempfehlung mit ein, wie zum Beispiel das Alter der Patientin, das Tumorstadium und die oben genannten Tumortypen. So wird für jede Patientin ein individuelles Konzept erstellt, für das sich die Patientin entscheiden kann.
In den letzten Jahren sollen sich zunehmend schonendere Behandlungen durchgesetzt haben, wonach an Brustkrebs erkrankte Frauen länger leben und das Rückfallrisiko sinkt. Können Sie das bestätigen?
Weber: Das kann ich bestätigen. In den 70er-Jahren ist Tamoxifen und in den neunziger Jahren Trastuzumab auf den Markt gekommen. Diese Wirkstoffe können bei vielen Tumoren zur Anwendung kommen und haben die Brustkrebssterblichkeit deutlich reduziert. Weitere zielgerichtete Behandlungen werden laufend erforscht und erfolgreich in die Klinik eingeführt, in der Regel zuerst bei Patientinnen mit bekannten Ablegern.
Kurzeder: In den vergangenen Jahren haben die antihormonelle Therapie und auch sogenannte zielgerichtete Therapien zunehmend an Bedeutung gewonnen, weil sie das Rückfallrisiko senken können. Diese Therapien haben oft eine sehr gute Verträglichkeit. Zuletzt wurden neue Substanzen entwickelt, mit dem Ziel, Resistenzen gegen hormonelle Therapien zu überwinden. Um diesen Ansatz weiter zu entwickeln, führen wir derzeit im Brustzentrum des Universitätsspitals Basel vielversprechende Studien durch.
Ist eine Amputation nicht eigentlich sinnlos, wenn Krebszellen in andere Körperteile gestreut haben.
Weber: Eine Amputation ist heute relativ selten nötig und kann meist mit einem Sofortaufbau in der gleichen Narkose kombiniert werden. Eine Patientin kann sich also vor der Operation für eine sofortige Wiederherstellung der Brust entscheiden. Meist können wir aber brusterhaltend operieren, das heisst wir können uns auf die Entfernung des Tumors beschränken. Durch die Kombination von Techniken aus der Tumor- und der plastischen Chirurgie, der sogenannten onkoplastischen Chirurgie, sind meist sehr gute ästhetische Resultate möglich. Entsprechend hoch sind dann auch die Zufriedenheit und die Lebensqualität der Patientinnen. Auf diesem Gebiet sind wir weltweit führend.
Wird eine Amputation der Brust am Ende in Zukunft völlig wegfallen?
Weber: Es wird immer seltener werden, weil wir zunehmend vor einer Operation auf die Ganzkörpertherapie setzen, womit der Tumor kleiner und die Chancen auf eine erfolgreiche Brusterhaltung höher werden. Ich denke aber nicht, dass die Technik der Amputation ganz wegfallen wird. Wir wenden sie auch als prophylaktische Option an, um das Brustkrebsrisiko bei Frauen mit einem erblich stark erhöhten Risiko zu senken. Dank der modernen Möglichkeiten der Wiederherstellung der Brust durch die Kolleginnen und Kollegen der plastischen Chirurgie sind die ästhetischen Resultate heute viel besser geworden.
Seit 2014 können alle in Basel-Stadt wohnhaften Frauen zwischen 50 und 74 alle zwei Jahre freiwillig an einer Brustkrebsvorsorge (systematische Mammografie) teilnehmen. Nun sind Mammografien auch umstritten, zu teuer, zu ungenau heisst es. Was ist Ihre Meinung?
Weber: Ich habe hierzu eine klare Meinung: Ich verstehe es als meine Aufgabe, Frauen über die Vor- und Nachteile eines solchen Programms aufzuklären, damit sie selber entscheiden können, was für sie das Richtige ist.
Frauen werden im schlimmsten Fall nicht nur an der Brust operiert, sondern auch unter der Achsel, um die Wächterlymphknoten zu entfernen. Weitere Lymphknoten können dazukommen. Wäre es nicht möglich diese Lymphknoten mit Bestrahlung oder einer Chemotherapie zu behandeln?
Weber: Das ist richtig. Diese Lymphknoten werden zunehmend mit Bestrahlung und immer weniger mit radikaler Chirurgie behandelt. Nach 4-jähriger Vorarbeit starten wir im Juli eine Studie mit 1‘500 Patientinnen in fünf Ländern, in der wir zeigen wollen, dass die radikale Chirurgie der Achselhöhle heutzutage praktisch nicht mehr nötig ist.
Frauen mit genetischer Prädisposition für Brustkrebs können mittels Gentest ihr Risiko daran zu erkranken, ermitteln lassen. Wem empfehlen Sie den Test?
Kurzeder: Wir empfehlen Frauen mit einem familiären Risiko in bestimmten Situationen eine Beratung in der Sprechstunde für vererbbare Krebserkrankungen. Neben einem gehäuften Auftreten von Brustkrebs bei blutsverwandten Familienangehörigen und dem Auftreten von Brustkrebs in jungem Alter können auch Eierstockkrebserkrankungen ein Thema sein. Letztlich können wir anhand des Familienstammbaumes das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs berechnen und allenfalls eine Gentestung empfehlen. Die Möglichkeit, auch weiteren Familienmitgliedern vorsorgliche Massnahmen anzubieten, ist uns ein besonderes Anliegen.
Die Schauspielerin Angelina Jolie hat sich vorsorglich zu einer beidseitigen Amputation entschieden und einen nachträglichen Wiederaufbau der Brüste vornehmen lassen. Haben Sie solche Operationen auch schon ausgeführt?
Kurzeder: Wenn ich mich richtig erinnere und aus den Medien richtig informiert bin, wurde der Wiederaufbau der Brüste nicht nachträglich, sondern in der gleichen Narkose durchgeführt. Wir führen regelmässig solche Operationen durch. Sie sind wirksam, jedoch radikal und irreversibel. Deshalb legen wir Wert auf einen aufwändigen Entscheidungsfindungsprozess, den wir in unserer Sprechstunde zusammen mit der betroffenen Frau auslösen und begleiten.
Wem würden Sie dazu raten?
Kurzeder: Nur Frauen mit einem deutlich erhöhten Risiko, im Laufe des Lebens einen Brustkrebs zu entwickeln. Das weiss man nur, wenn man in der Sprechstunde für vererbbare Krebserkrankungen einen Gentest mit einem eindeutigem Resultat erhalten hat. Selbst dann sollte eine solche Operation nur vorgenommen werden, wenn die Patientin und ihre Familienangehörigen mit der Entscheidung einverstanden sind und eine gewisse Bedenkzeit vergangen ist.
Kann man vorbeugen. Wenn ja, wie?
Weber: Wir wissen heute, dass viele Tipps zur Erhaltung der allgemeinen Gesundheit, die es seit Jahrzehnten gibt, auch ganz spezifisch das Brustkrebsrisiko senken können. Dazu gehören - neben den oben erwähnten hormonellen Faktoren - Gewichtskontrolle, körperliche Aktivität, Verzicht auf Nikotin und übermässigen Alkoholkonsum sowie eine ausgewogene Ernährung.
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