Foto: wikimedia.org/Ordercrazy
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Zwischen Stahlbad und Schaumbad: Sophie Hunger in der Reithalle Basel

Auf ihrer “Supermoon”-Tour spielte Sophie Hunger gestern Samstag in der Reithalle der Kaserne. Es gab an diesem Abend nur zwei Dinge, die lauter waren als sie: ein Jumbojet und das Klickern von Eiswürfeln.

An Tag zwei nach den drei schönsten Tagen herrscht ein Grossandrang vor der Kaserne. Ein Vierzehnjähriger fragt, ob ich ihm ein Ticket verkaufen kann. “Nein”, sage ich. Er ist enttäuscht. Eine Konzertbesucherin ruft: “Ticket zu verkaufen!” Die Augen des Jungen leuchten auf. Dann sagt sie: “Hundert Franken!” Der Junge verschwindet. Sophie Hunger und die Kaserne, das steht für mehr als gezwirbelte Schnauzbärte und Baumwollumhängebeutel. Das steht für ausverkauftes Haus.

“Love is not the answer”, legt Sophie Hunger los, “And makes you lose the plot.” Äh, ja. Genau. Nicht lange, und einer ruft an der Bar: “Das ist zu wenig Wechselgeld!” Ordentlich laut zwar, aber was soll’s, das ist ja ein Konzert. Weil das hier aber mehr ist als ein Konzert, nämlich eine Zeremonie, erntet er dafür vorwurfsvolles Zischen. Und schwupps, begibt sich Sophie Hunger auf die postironische Metaebene: “Jetzt kommt der Umschwung”, sagt’s, und schon bohren sie und ihre Band den Song in einem infernalisch heissen Abstieg in den Bühnenboden, ein höllisch lauter, unverschämt toller Sound. Der Typ mit dem Wechselgeld verstummt.

Diese Eruptionen! Wenige Minuten später etwa ein Klavierexzess, hämmernd, ein brutales Stakkato von hypnotischer Roheit: unglaublich harte, laute, starke Stellen. Danach stellt Sophie Hunger ihre Band vor, sie führt jeden einzelnen mit unüberhörbarem Respekt ein. Mit ihren Ansagen hat sie die Reithalle im Griff. Im Zusammenhang mit der Durchsetzungsinitiative wünscht sie sich, wie schon Güzin Kar, ein scharfes, schneidendes, kaltes Nein, ein Nein, heftig genug, dass “mr villicht, düe mr träume, zwöuf Monet nüt vo dene Idiote ghöre”. Laute Bravo-Rufe folgen.

Dann “Le vent nous portera”, ein stilles, fragiles Juwel. Es zieht einen in die Ferne, in eine Fremde, die man in sich selbst oder auf fernen Kontinenten entdecken kann. Ein Bläsereinsatz wie eine Cabrio-Fahrt durchs Death Valley! Eine Stimme, fragil wie ein Bewusstsein, dass sich kurz vorm Einschlafen in Gedanken verliert, die sich kaum mehr von Träumen unterscheiden.

Viel zu früh verschwindet die Band von der Bühne: minutenlanger Applaus und Zugabe-Rufe. Sophie Hunger kehrt zurück und spielt “Heicho”, eine todtraurige Nummer über Liebe und Sterben. Eine lyrische Miniatur, die an Kutti MC erinnert. Immer wieder die Zeilen: “Aber i chume / Sicher hei cho stärbe”. Eine vielhundertköpfige Stille herrscht. Das Klickern von Eiswürfeln ist das lauteste Geräusch.

Beim Song “Superman Woman” hat es sich mit der Stille. Die Band steigert sich in einen Rausch, ohrenbetäubend genug, um eine Metal-Kapelle an die Wand zu prätschen. Da geschieht es: Sophie Hunger schiesst mit einer orkanartigen Turbomundharmonika dazwischen (zweimal leider nur). Bob Dylan unter Starkstrom. Ein Jumbojet startet durch. Wände zittern. Tinnitus klingelt. Ein unglaublich intensiver Moment, doch leider, ach! viel zu schnell vorbei. Zum guten Glück folgt in der nächsten Zugabe ein fast gewalttätiger Bläserexzess. Sophie Hunger und Band spielen so hart auf, dass man es nur noch mit John Lennon halten kann: “She’s so heavy / Heavy, heavy, heavy“. Am besten gefallen diese Stellen, an denen sie brachial abrockt und man durch ein musikalisches Glücksgefühl taumelt. Warum auf diese Entladungen aber wieder lispelnde Balladen folgen, bleibt ein Rätsel.

Am Ende des Abends überwiegen Begeisterung und Freude über die richtig deftigen Stellen. Insgesamt war es ein bisschen zu viel des Wechsels zwischen Stahlbad und Schaumbad. Eine gewisse Verunsicherung kann ja auch das zwischen Kopfnicken, Stillhalten und den ersten Zuckungen eines langen Tanzabends changierende Publikum nicht verbergen. Sophie Hunger ist eine Zeremonien-Meisterin: fähig und willens, jeden Song an jeder Stelle zu brechen und neu zusammenzubauen. Sie erinnert mit ihrer diesbezüglichen Entschlossenheit fast schon an Bob Dylan.