«Die Stiftung hat zu wenig die Mittel um den Staat zu entlasten», sagt CMS-Direktor Beat Von Wartburg. (Bild: CMS)
«Die Stiftung hat zu wenig die Mittel um den Staat zu entlasten», sagt CMS-Direktor Beat Von Wartburg. (Bild: CMS)
  • Andy Strässle
  • Aktualisiert am

Interview der Woche mit Beat von Wartburg: «Die Christoph Merian Stiftung muss mit der Zeit gehen»

Zukunft, Nachhaltigkeit und das liebe Geld: Seit drei Jahren ist Beat von Wartburg  Direktor der Christoph Merian Stiftung. Im Interview gibt er einen Einblick, wie er die Stiftung neu ausgerichtet hat.

Beat von Wartburg, wie haben Sie Ihre ersten drei Jahre als Direktor der Christoph Merian Stiftung erlebt?

Wir haben in diesen drei Jahren sehr viel gearbeitet. Zuerst einmal führten wir eine Standortbestimmung durch, um zu schauen, wo wir eigentlich stehen. Wir haben uns eine ganz einfache Frage gestellt: Machen wir das richtige und machen wir das, was wir machen richtig.

Was kam bei dieser Frage denn raus?

Zunächst haben wir einen Leitbild-Prozess eingeläutet. Mit dem Leitbild definierten wir die grundlegenden Werte der Stiftung. Wir liessen uns einerseits inspirieren vom «Swiss Foundation Code» mit den drei Hauptbegriffen: Wirkung, Governance und Transparenz. Andererseits spielte die Nachhaltigkeitstheorie eine Rolle: Wir sagten, unsere Stiftung hat ein Vermögen, nur wenn wir dieses gut bewirtschaften, verfügen wir über genug Mittel für die Förderung. Dann ist da die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, das heisst, wir müssen relevant sein in unseren Fördertätigkeiten. Das heisst, wir müssen Relevanz erzeugen, sonst können wir den Stiftungszweck nicht umsetzen, der heisst: «Linderung der Noth und des Unglückes» und «Förderung des Wohles der Menschen». Und schliesslich ist die Verantwortung gegenüber der Umwelt noch ein Kriterium für Nachhaltigkeit. Mit dieser Verantwortung meinen wir nicht nur die ökologische Verantwortung, sondern auch diejenige gegenüber Basel als Lebenswelt. 

Das klingt vernünftig, aber was hat sich konkret geändert?

Wir stiegen dann vom Leitbildprozess in den Strategieprozess ein. Wir sagten, wir müssen schauen, dass wir gezielt unterwegs sind, dass wir nicht aus der Situation heraus entscheiden, etwa im Förderbereich Entscheide fällen, die aus dem «Jöö-Effekt» heraus oder aus Befindlichkeiten heraus entstehen. Das haben wir, wie ich glaube vorbildlich gemacht. Etwa im sozialen Bereich, wo wir eine Bedarfsanalyse erstellt haben, die aufgezeigt hat, wo die Not am grössten, wo das soziale Netz in Basel nicht eng genug geknüpft ist. Wir haben uns gefragt, wo braucht es die Stiftung und wo braucht es sie nicht.  Aufgrund dieser Bedarfsanalyse haben wir unsere Förderschwerpunkte definiert. Ähnlich wie im Sozialen, auch im kulturellen und ökologischen Bereich. Dabei haben wir uns auf klare Förderschwerpunkte fokussiert.

Was hat sich geändert? Da gibt es sicherlich viele Ansprüche und Befindlichkeiten der Stadt? Da gibt es sicher viele Baustellen?

Ja, das ist so. Geändert hat sich, dass wir erst einmal Verständnis dafür schaffen mussten, dass wir nicht funktionieren wie der Staat, der Subventionen verteilt und dadurch auch immer mehr gebundene Hände und gebundene Mittel bekommt. Wir hatten etwa im sozialen Bereich bis zu achtzig Prozent Dauerverpflichtungen. Diese Verpflichtungen haben wir bis auf fünfzig Prozent abgebaut. Das heisst positiv formuliert, wir sind bei fünfzig Prozent unserer Partnerschaften dauerhaft engagiert, weil wir bei unserer Bedarfsanalyse gesehen hatten, dass diese Engagements notwendig sind. Im Kulturbereich sahen wir, dass etwa das Literaturhaus oder das Haus für elektronische Künste nicht ohne uns existieren können, da bleiben wir Partner und verlässlicher Partner. 

Wie sind Sie mit dem Widerstand umgegangen, immerhin hat es auch Verlierer gegeben?

Aber wir haben auch festgestellt, wir müssen unsere Mittel flexibler einsetzen können, dort, wo es nötig ist. Mit dem Kanton und den Stakeholdern haben wir einen runden Tisch durchgeführt, so dass man gemeinsam Projekte lancieren kann und nicht nur einfach Projekte anschiebt. In Zukunft sehen wir unsere Rolle eher, als Organisation, die Projekte anschiebt, als sie dauerhaft subventioniert. Ich glaube, da ist jetzt ein guter und fruchtbarer Austausch mit dem Kanton zustande gekommen. Der Kanton musste auch einsehen, dass die CMS letztlich zu wenige Mittel ausschütten kann, um den Staat zu entlasten, sondern wir müssen eine Jokerrolle spielen. Wir müssen im Interesse der öffentlichen Hand neue Wege gehen können oder Sachen ausprobieren, dort, wo der Kanton aufgrund der demokratischen Prozesse vielleicht zu lange braucht. Diese Rolle müssen wir im Dialog mit dem Kanton und den betroffenen Organisationen und den Betroffenen selbst definieren. Da kann es um Obdachlosigkeit oder andere Themen gehen.

Warum ist diese Flexibilität so wichtig? 

Christoph Merian hatte in seinem Testament einen ganz tollen Satz drin und zwar hatte er gesagt: Ich enthalte mich der Vorzeichnung jeglicher Bestimmungen, um nicht eine bessere und zeitgemässere Verwendung der Mittel zu vereiteln. Dieser Satz meint, ich mache keine enge Zweckbestimmung. Die Zeiten ändern sich und dann muss man handeln können. Das ist auch für uns massgeblich. Die sozialen Problemlagen etwa ändern sich: Einmal ist es Migration, dann ist es Armut, dann wieder Arbeitslosigkeit. Wir müssen in diesen Momenten flexibel das Geld einsetzen, wenn wir merken, dass sich Bedarfslagen ändern. Wenn wir das nicht mehr können, dann haben wir nicht mehr diese Jokerrolle. Dann können wir nicht das übernehmen, was der Kanton nicht kann, dann können wir nicht mehr schnell handeln und intervenieren. Es ist anerkannt worden, dass eine Stiftung eine andere Rolle hat als eine kantonale Verwaltung. Dazu muss man die Verhältnismässigkeit sehen zwischen dem Kanton, der für Sozialausgaben beinahe eine Milliarde ausgibt und uns mit unseren fünf Millionen. Das ist im Vergleich dazu fast Spielgeld, das man gescheit einsetzen muss, damit es überhaupt Wirkung erzielt.

Können Sie uns ein Beispiel für ein solch flexibles Projekt geben?

Wir haben etwa die Mobile Quartierarbeit Schoren gefördert, im Quartier entstehen viele neue Wohnungen, da geht es dann darum, wie verstehen sie sich die vielen neuen Leute mit den Alteingesessenen. Da geht es darum, dass man da gemeinsam etwas unternimmt.

In der neuen Strategie spielt auch die Stadtentwicklung vermehrt eine Rolle, was steckt dahinter?

 Wir haben gemerkt, dass sich viele Problemlagen nicht eindeutig einem Bereich wie der Kultur oder dem Sozialen zuordnen lassen, sondern das ein interdisziplinärer Ansatz gefordert ist, weil die Thematiken übergreifend sind. Zum Beispiel beim Thema Migration muss man sich auch mit den kulturellen Differenzen auseinandersetzen. Wenn Menschen aus Ländern mit anderen Wertvorstellungen zu uns kommen, so ist das nicht nur ein soziales Thema, sondern auch eine kulturelle Angelegenheit. Auch das Thema Lebensräume für Kinder hat immer mit Grünflächen, mit der Lebensqualität im Quartier zu tun. Und diese Qualität ist immer interdisziplinär, umfasst soziale Aspekte und wieviel Platz es für Kinder hat. Wir haben gemerkt, dass unsere drei Abteilungen Kultur, Soziales und Natur verstärkt zusammenarbeiten müssen, dass diese nicht in ihrem Fachbereich verharren dürfen, sondern gemeinsame Projekte lancieren müssen.

Die Christoph Merian Stiftung hat auch Stellen abgebaut, warum?

Wir haben gemerkt, dass Effizienz und Effektivität zum Selbstverständnis unserer Stiftung gehören, insofern als wir unternehmerisch unterwegs sein wollen. Wir wollen eine smarte Organisation sein, die schnell reagieren kann und je aufgeblähter ein Apparat ist, umso schwerfälliger wird er. Wir sind schlicht zu klein. Dazu stellten wir fest, dass das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben ungünstig ist und wir das dringend verbessern müssen. Wir haben im Moment einen sehr hohen Personalanteil, unter anderem weil wir Projekte selber gemacht haben und dort muss man sich fragen, gibt es nicht andere, die das viel besser und günstiger machen als wir. Man muss sich auch fragen, ist das Geld gut investiert, wie etwa in der Landwirtschaft, wo wir zwei Betriebe geführt hatten, aber keine Direktzahlungen vom Bund enthielten. Damit kostete uns die Landwirtschaft eine Million jährlich, ohne dass wir mit dieser Million einen Mehrwert hätten erzeugen können.

Schliesslich sagten wir uns, dass wenn wir Geld in die Landwirtschaft investieren, müssen wir es investieren, um eine Wirkung zu erzielen und nicht um den Bund zu ersetzen, das kann es doch nicht sein. Unterdessen haben wir die Landwirtschaftsbetriebe verpachtet und dadurch sind wir zum Beispiel zwölf Personen weniger beim Personal. Das sind Fragen, die sich jede Organisation von Zeit zu Zeit stellen muss: Sind wir noch effizient? Wir wollen unsere Agilität behalten und nicht zu einem Apparat werden. Wir sollten schlank bleiben und sportlich.

Der Dreispitz ist für die Christoph Merian Stiftung eine grosse Kiste, wie geht es auf dem Areal weiter? 

Auf dem Dreispitz sind wir super unterwegs. Wir haben die Nutzungsplanung, die vor drei Jahren einigen Staub aufgewirbelt hatte, beendet, weil sie zu komplex war und juristisch auf ganz wackeligen Beinen stand und ökonomisch war sie für uns absolut unvorteilhaft gewesen. Wir entschieden räumlich und zeitlich etappiert entwickeln. Für die Nordspitze, dort wo die Migros ist, haben wir einen städtebaulichen Wettbewerb ausgeschrieben. In einem Monat werden wir kommunizieren können, wer das Rennen gemacht hat. Wir sind auf jeden Fall sehr happy mit dem Projekt, das wir dort ausgewählt haben. Im Moment warten wir noch auf den Jurybericht und freuen uns dann zeitnahe die Öffentlichkeit zu informieren. Soviel kann ich jetzt schon sagen: Die Bedürfnisse des Quartiers, der Migros, dem Kanton und von der CMS werden bestmöglich abgedeckt.

Eine Riesenkiste, wie die Entwicklung eines neuen Quartiers beim Dreispitz und dann wieder der Spielestrich, wie bekommt das die Christoph Merian Stiftung zusammen?

Ja, da sind wir immer in einem Spannungsfeld, das stimmt. Aber wir sind sowieso in einem Spannungsfeld zwischen Geld verdienen und Geld ausgeben. Das gehört zu unserer DNA, dass wir diese zwei Seelen in der Brust haben. Auf der einen Seite müssen wir wirklich kommerziell unterwegs sein und auf der anderen, sind wir dem Stiftungszweck entsprechend stark inhaltlich getrieben. Aber es ist auch klar: Wir müssen Geld verdienen, am Dreispitz oder mit unseren anderen Liegenschaften. Damit wir unsere Aufgaben erfüllen können. Darum ist es ein hochspannender Job, auch für mich persönlich, was abgeht im Dreispitz.

Im Dreispitz baut die Christoph Merian Stiftung ja eigentlich einen ganzen Stadtteil ...

Das ist auch die Idee. Das sich der Dreispitz transformiert. Vor wenigen Jahren wurde das Gelände am Abend ja buchstäblich noch abgeschlossen. Er soll zu einem neuen offenen Stadtteil werden. Auch die Ansiedelung der Schule für Wirtschaft bringt das Areal noch einmal weiter. Da sind wir wirklich gut unterwegs. Das ist eine Riesenchance für die ganze Stadt sich weiterzuentwickeln. Wir hoffen auf einem bereits versiegelten Boden eine Verdichtung hinzubekommen, die hoffentlich so wenige Konflikte beinhaltet wie nur möglich. Wenn man in einem bereits bestehenden Quartier verdichten will, hat man oft  Probleme, wie etwa bei Hinterhofüberbauungen oder beim Lichteinfallswinkel. Am Dreispitz haben wir die Möglichkeit eine wirklich starke Verdichtung hinzubekommen ohne die üblichen negativen Begleiterscheinungen. Ich glaube es ist auch eine Riesenchance für das Gewerbe und das Gewerbe 2.0, man kann dort Firmen ansiedeln, die auch von denen profitieren können, die schon dort sind. Zum Beispiel im Kunstfreilager ist ein ganz interessanter Mix aus Kunst und Gewerbe und Gewerbe und Wohnen entstanden.

Die Stadt scheint sich immer rasanter zu verändern, kommen da bei Ihnen nicht auch nostalgische Gefühle auf?

Ich glaube, unsere Stadt muss sich entwickeln. Als ich noch klein war, hatten wir 220'000 Einwohner. Diese Zahl fiel markant und jetzt sind wir daran, wieder auf jenen Wert zu kommen. Wir reden von einem Wachstum, aber jetzt sind wir wieder daran, dahin zu kommen, wo wir 1970 waren. Ich glaube, dass es für die Vitalität dieser Stadt ganz entscheidend ist, dass sie eine kritische Grösse hat, dass die Stadt so wirtschaftlich aufgestellt und diversifiziert bleibt, wie sie ist. Dabei spielt auch die Kultur eine tragende Rolle. Denn mit seinem grossen kulturellen Angebot ist Basel eine «kleine» Weltstadt. Um dieses Angebot zu erhalten, glaube ich, braucht es ein gewisses Wachstum.

Sie waren Ihr ganzes Arbeitsleben bei der CMS, wie hat sich die Stiftung in den letzten Jahrzehnten verändert?

Was mir in erster Linie auffällt ein, dass in fast allen Lebensbereichen eine Dynamik hineinkam, der man sich nicht entziehen kann. Denken Sie an die Kommunikation, denken Sie an die Digitalisierung. Als bei der Christoph Merian Stiftung anfing, hatte ich eine Schreibmaschine, die ich noch von zuhause mitbringen musste. Heute reden wir über das papierlose Büro, wir haben andere Kommunikationsformen, die unglaublich viel schneller sind. Damals konnte man sich Zeit lassen, um einen Brief zu schreiben, heute geht das per E-Mail viel rasanter. Wir haben viel komplexere gesetzliche Regulatorien, wenn ich mir überlege, was die Entwicklung am Dreispitz heute braucht, an Abklärungen und was alles in einen Bebauungsplan hineingehört, von der Versickerung des Regenwassers bis zum Vogelschutz und Mobilitätsnachweis.. Das Leben ist unglaublich komplex geworden. Und die Stiftung muss sich dieser Komplexität stellen. Dazu hat sie auch ein Wachstum hinter sich. Durch die Diversifizierung unserer Finanzanlagen konnten wir unsere Einnahmen steigern und von dem her sind wir grundsätzlich sicher anders aufgestellt als vor dreissig Jahren.

Für mich ist die Herausforderung, zu schauen, dass die Stiftung zukunftsfähig bleibt, dass sie ihr Vermögen so gut bewirtschaftet, dass es sie auch in zwei- oder dreihundert Jahren noch gibt. Nachhaltigkeit heisst für uns auch immer an die Nachfolger zu denken. Das unterscheidet uns auch von der Privatwirtschaft. Wir haben nicht einen Planungshorizont von einigen Jahren, sondern bei uns er eigentlich auf ewig ausgerichtet.

Zur Christoph Merian Stiftung kamen Sie ja wegen Peter Ochs, was fasziniert sie an diesem liberalen Aufklärer?

Peter Ochs lebte in einer Zeit, als es darum ging, einen Schritt in die Zukunft zu machen. Sich in Basel dafür zu entscheiden, selber Reformen auszuführen, bevor eine andere dazu zwingen. Damals diskutierte man in der Stadt, wie man aufklärerische Ideale, wie etwa die Menschenrechte umsetzen könne. Peter Ochs war einer, der sagte, wir müssen es jetzt machen, bevor es zu spät. Bekanntlich brachte die Geschichte die Restauration, die das Rad zurückdrehte was zur Kantonstrennung führte, unter der wir heute noch leiden. Hätte man auf Peter Ochs gehört, hätte man die Reform rechtzeitig gemacht, hätten wir heute eine andere Situation. Das ist etwas, was mich nach wie vor fasziniert, wie gesagt, die Umsetzung von aufklärerischen, liberalen Grundsätzen und die Fragen, wie man ein erstarrtes Staatsgebilde oder eine erstarrte Gesellschaft in die Zukunft führt. Die Schweiz etwa kommt mir manchmal so vor, als sei sie immer reaktiv, nie proaktiv versucht, die Zukunft zu gestalten. Sie schimpft über die EU und zieht aber trotzdem nach, was die EU will. Dabei wäre es sinnvoller proaktiv zu handeln.

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