• Andy Strässle
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Basler Verein Engelskinder: Das Tabu der Fehlgeburt

Engelskinder oder Sternenkinder sind Kinder, die kurz vor oder kurz nach der Geburt sterben. Das Thema ist bis heute ein Tabu. Der Basler Verein «Engelskinder» hilft betroffenen Eltern in der Region.

«Unser geliebtes Würmchen. Nach einem langen steinigen Weg durften wir uns freuen, dass du unser Leben bereichern wirst. Am Morgen des 9.2.2016 schlug dein kleines Herzchen noch, ehe es am Abend für immer verstummte. Acht Wochen hast du unser Leben bereichert, ehe du zu den Sternen fliegen wolltest. Unsere Trauer ist unendlich, doch unser Stolz auf dich und unsere Liebe werden wir immer in unserem Herzen tragen.» Über sechshundert solche Einträge finden sich auf der Webseite von «engelskinder.ch». Nina Theurillat vom Basler Verein Engelskinder sagt: «Es ist für die Eltern wichtig, dass sie sich an ihre Kinder erinnern können.» Die diplomierte Pflegefachfrau weiss, wovon sie spricht. Während die Zahl von Totgeburten in der Schweiz seit den Neunziger Jahren stabil bei rund 350 liegt, wie das Bundesamt für Statistik schreibt, bleibt der Umgang mit dem Thema ein Tabu.

Schock

«Eine Totgeburt ist ein Schock», sagt Nina Theurillat, die sich selbst als Engel- und Sternenkind-Mami bezeichnet. Die Ursachen für eine Totgeburt sind selten klar. So war es auch bei Nina Theurillat. «Bei einer Kontrolluntersuchung wurde festgestellt, dass die Herztöne fehlten», die Todesursache war nie ganz klargeworden. Wegen dieser Ungewissheit hätten die Engelskinder-Mamis oft mit Schuldgefühlen zu kämpfen, fragten sich, ob sie etwas anders hätten machen können oder sollen. Am Ende bleibt für die hoffnungsvollen Eltern ein grosses Gefühl der Leere zurück. Die Schwangerschaft endet abrupt. «Man muss sich vorstellen, man geht mit leeren Armen nach Hause, ohne Kind.»

So steht auf der Webseite etwa zu lesen: «Mier hend üs so gfreut wo mier gwüsst hend das du unterwegs bisch. Wo ich de im Ultraschall dis Herzli gseh ha schla bin ich fasch platz vor Freud. Wie gärn hätted mier dich uf dim Läbäswäg begleitet. Leider bisch e andere wäg gange. Vergässä wärdet mier dich nie und Liebet dich für Immer!» Während Nina Theurillat neun Jahre nach dem Schicksalschlag glückliche Mutter von drei Kindern ist, so engagiert sie sich immer noch für die Sternenmamis, weil es ihr wichtig ist, dass die Frauen mit ihrer Trauer nicht alleine sind. «Das Thema ist immer noch ein Tabu». Das habe viele Gründe. Manchmal seien die Frauen zu geschockt, um gleich nach dem traumatisierenden Erlebnis über ihre Trauer zu sprechen. Ein Grund könne auch die Scham sein. Das Gefühl, versagt zu haben.

Das Schweigen brechen

Die drei Frauen vom Verein Engelskinder beantworten im Alltag Mails von Betroffenen, organisieren einmal im Monat einen Treff im Basler Selbsthilfezentrum und haben in diesem Frühling auch zwei Familien besucht. Natürlich sei das emotional nicht einfach, da sie nicht genau wisse, was sie antreffe, sagt Nina Theurillat. Sie weiss aus eigener Erfahrung, dass es wichtig ist, Anteil zu nehmen und die Betroffenen in ihrer Trauer zu unterstützen.

Eine grosse Rolle spielt die Erinnerung an die Sternenkinder. «Es ist wichtig, etwas zu behalten, damit man sich an das Kind erinnern könne. Denn es bleibt immer ein eigenes Kind auch wenn es nicht auf die Welt gekommen ist.» Für die die Bewältigung des Trauerfalls sei es aber meist wichtig, ein Erinnerungsstück zu haben. «Bilder waren für mich extrem wichtig». In den letzten Jahren weiss Nina Theurillat, sei die Sensibilität der Kliniken im Umgang mit Totgeburten sehr gewachsen, heutzutage erhalten die Eltern immer die Gelegenheit Abschied zu nehmen. 

Auch ein Sternenkind ist ein Kind

«Du bist unser drittes Sternenkind im Himmel. Wir hoffen ganz fest, dass es Dir und Deinen beiden kleinen Geschwisterchen bei Euren Grosseltern im Himmel gut geht. Unsere Tränen und unsere Trauer sollen Euch zeigen, wie sehr wir Euch lieben und uns auf Euch alle drei gefreut haben. Unser Unglück ist für uns im Moment unfassbar.» Das Risiko einer Fehlgeburt liegt bei zwanzig Prozent. Ein Spontanabort, also der Verlust eines Kindes in den ersten 24 Wochen, betreffe jede dritte Frau in der Schweiz, schreibt die Zeitschrift «wir eltern». Im Erfahrungsbericht schreibt die betroffene Autorin für sie sei es am Schlimmsten gewesen, zum Schweigen verdammt zu sein.

Eine fehlgeschlagene Schwangerschaft ist immer noch ein Tabu. Auch Freunde und Familie wissen oft nicht, wie sie damit umgehen sollen. Mit ihrer Arbeit will Nina Theurillat versuchen das Eis zu brechen. Denn auch ein Sternenkind ist ein Kind.