Im trägen Fluss der steilen Frühlingssonne. ©A.Schwald
Im trägen Fluss der steilen Frühlingssonne. ©A.Schwald
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Diese Müdigkeit, diese unsagbare Müdigkeit – ein Frühlingsleben in Basel

Da liegt die Stadt still, wenn die Sonne scheint, alle fläzen in der Wärme und viele schon am Rhein. Während Sonnenbrand sich mit Erkältung mischt, und Allergiker verzweifelt schnäuzen, bleibt der Stadt vor allem eins: Die Müdigkeit, die umfassende Müdigkeit früher Frühlingssonnentage.

Am Rhein sitzen sie schon. Im Kleinbasel. Da hängen sie so rum und lassen sich die Sonne auf den Pelz scheinen, in den Ausschnitt, auf die Oberarme, alles drall und noch ein bisschen bleich. Die Frühlingssonne, sagt man, ist perfider als die Sommersonne. Der Einfallswinkel ihrer Strahlen ist noch ziemlich spitz, weil sich die Erde erst mild zur Sonne neigt, und somit wird die Haut weitgehend ungeschützt bombardiert. Zusammen mit dem kühlen Wind ist das eine fiese Kombination, da röstet man also am Rhein, ohne ins Schwitzen zu kommen, und ist abends dennoch rot.

Wenn Oberarme, Schenkel, Dekolletés zart blitzen

Alles bräunt und rötet. ©A.Schwald

Aber diese Müdigkeit, diese unsägliche Müdigkeit. Dabei ist doch Frühling, die Sonne knallt, aber die Trägheit hält hier alles lau und flach. Es kitzeln die Hormone, es kommt die Lust: die Lust auf Sommer, die Lust auf Schönes, und im gleichen Mass dieses Unbehagen. Das Wollen, das schiere, unersättliche Wollen, wenn alles um einen erwacht, wenn die Knospen explodieren, der Pollen durch die Lüfte stäubt und Oberarme, Schenkel, Dekolletés erstmals scheu an Promenaden blitzen, und das Nichtkönnen: Die Trägheit erster flauer Sonnentage, das Fleisch noch schwach vom bleichen Winter und etwas wabbelig vielleicht dazu. Dieses Unbehagen, also: Unersättliches Streben nach Lustprinzip und das gleichzeitige Erleben der Unerfüllbarkeit dessen. Das formulierte schon der gute Sigmund Freud – und nie ist es wahrer als unter der sanften, kultivierten Märzensonne.

Komm, Bestäuber, lass dich nieder

Die dicke Blust des Frühlings. ©C.Staehelin

Ein Recken ist es, ein Strecken, alles will, alles blüht und alles niest. Nach Hasel, Esche kommt die Erle, bald die Birke, dann gehts rund. Die Apothekerin lagert das Telfastin und das Cetallerg und auch das Xyzal direkt unter der Ladentheke, daneben noch die Augentropfen, aber von den guten. Wer niest, ist schwach, die Allergie gilt immer noch als körperliche Schwäche, keiner will sie, zu viele haben sie. Ein Kratzen im Hals, ein Brennen hier und da: asthmatisch übler Husten! Hoffentlich nur erkältet, das geht nämlich vorbei, lässt sich betäuben, aber eine Allergie, die hält eben an, so lange Bäumen, Sträuchern, Gräsern ums Blühen ist. Alles will sich vermehren. Alles spriesst und lugt hervor: Die dicken Knospen saftiger Magnolien winden sich in der Wärme, man kann ihnen beim Anschwellen förmlich zuschauen, das Aufgleiten fast schon hören, wenn sie schliesslich ihre prallen Blüten in die Sonne halten, bereit, ihre Bestäuber zu empfangen. Bis nach dem ersten satten Regenschauer die Pampe kurz so prächtig duftender Blätter das halbe Trottoir verklebt.

Der Geist, der will, das Fleisch ist aber matt

Klare Luft, klarer Blick. ©A.Schwald

Im Tram hängen sie in den Sitzen, an der Station warten sie braver als sonst und auch ein bisschen erschöpft, ausufern will hier gerade keiner. Richtig wach ist auch noch niemand, entweder alle halbwegs betäubt vom Allergiemittelchen oder einfach nur frühlingsmüde: Nein, das ist keine Illusion. Je länger die Tage, je kürzer die Nächte, desto mehr blüht auch unser eigen Fleisch und Blut. Hormone pumpen durch den Körper, das Schlafmittel Melatonin fährt zurück, stattdessen fliesst Serotonin, und wie das reinballert: Ein Schock für unser zartes Stimmungssystem, wenn die Tage schon warm und die Nächte immer noch garstig kühl sind. Kein Wunder sind hier alle faul. Der Geist ist willig, wir wollen es, wir gieren und wir sehnen uns nach Sonne, mehr und mehr, aber das Fleisch ist matt und faul und will eigentlich nur noch aufs Sofa, bestenfalls mit Pizza, Bier und tschüss. Wollen und Dochnichtkönnen: Unbehagen frisst sich fest im hübschen Frühlingskörper. Sehnsucht überall und kein Weg, sie rauszulassen, die Sau. Kuscheln statt knutschen, fast schlimmer noch als im Winter. High auf Serotonin: Gelassen, eigentlich zufrieden, aber wo ist bloss die Aggressivität, der geile Kick von vorhin denn hin? Stattdessen alles dumpf und wattig.

Der Sommer ist noch weit, der Sonnenbrand schon da

Ist es Schwellenmüdigkeit? ©A.Schwald

Und da sitzen sie am Rhein, unbeschwert, träge, und wir quälen uns zur Arbeit, die Fasnacht überstanden und schon die nächsten Ferien vor Augen: Ich will hier raus. Raus an die Sonne, ins Café, an den Vaterfluss oder in die Berge, und abends dann ein Bier. Bis der Himmel violett ist, die Dämmerung ihren Vorhang über die Bühne dieser Stadt legt, die Bluescht sich zur Nachtruhe legt und ein paar erste, helle Sterne funkeln. Waren sie vor kurzem nicht noch viel weiter entfernt? Zum Greifen nah leuchtet es dort oben, in fliessend garen Schichten aus dunklem Blau, das Licht ein Streifen nur am Horizont, ein Frösteln hier und da. Und der matte, vom Niesen geschundene Körper sich hinlegt, den Fluss pulsierenden Lebens wieder in den müden Adern, wissend, dass der Sommer doch noch weit ist und der Sonnenbrand schon da. Dann harren wir und leben, bis zum nächsten Regenschauer, bis zum nächsten Aufbäumen zäher Kälte und weit darüber hinaus.

Was sind ihre Tipps gegen die Frühjahrsmüdigkeit? Teilen Sie sie mit uns auf Facebook. 

Weitere Titelgeschichten unter News Basel