© Verschwundenes Basel
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  • Christine Staehelin
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Von der Wiege bis zur Bahre: So lebte früher die vornehme Basler Gesellschaft

Eine weitere Perle aus ihrem Archiv von Anna Sarasin-Von der Mühll ist die Beschreibung des vornehmen Lebens um die Jahrhundertwende in der St. Alban-Vorstadt. Sie erzählt, wie das typische Basler Leben in der «Dalbe» verlief: Von der Taufe bis zum Ruhestand. barfi.ch präsentiert Ausschnitte aus ihrem Werk «Baslerisches» aus der Feder von Anna Sarasin-Von der Mühll. 

Anna Sarasin-Von der Mühll beginnt ihre Erzählung mit der Geburt eines echten Baslers. Sie gibt Einblicke, wie man eine Geburt verkündet hat, vor Facebook und Instagram. Wer, wem gratuliert hat und welche Regeln es zu befolgen galt. 

«Kam in einer der Familien, die man in Gutem oder Bösem als zur «Dalbe» gehörig bezeichnete, auch wenn sie auf dem Nadelberg wohnten, ein Kindlein zur Welt, so lag sicher im Schreibtisch seiner Mama die <Ansagliste> bereit und um 10 Uhr ging die «Stubenmagd » («Zimmermaitli» sagte man nie) in schwarzem Kleid, großer weisser Schürze, ohne Hut, aber bei kühler Witterung in schwarzer Jacke, zu den Verwandten und «Hochzeitsfreunden», um die Neuigkeit anzuzeigen: Ein Kompliment von Herrn und Frau Soundso, und sie haben heut Nacht ein Mädchen bekommen. Comment war, dass die Dame des Hauses, der von ihrem Zimmermädchen diese Bestellung ausgerichtet wurde, sich selbst an die Haustüre bemühte, um sich die Meldung noch mit einigen Einzelheiten bestätigen zu lassen, ihre Gratulation aufzutragen, und der Meldenden ein Trinkgeld in die Hand zu drücken. Wem eine Geburt angesagt wurde, der hatte sich in den nächsten Tagen nach dem Befinden von Mutter und Kind zu erkundigen und nach dem zehnten Tag, mit Blumen oder einem «Buschigschänk» und einem Trinkgeld für die «Vorgängerin» bewaffnet, bei der Wöchnerin Besuch zu machen.» 

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Drei Wochen lang blieb eine junge Basler Mutter in ihrem Zimmer, sechs Wochen lang ging sie nicht aus. Während dieser Zeit empfing sie ihre Freundinnen und Bekannte, die gratulierten und den Nachwuchs willkommen hiessen. Danach folgte die Taufe, die ebenfalls strengen Regeln folgte: 

«Da es verpönt war, in Gesellschaft zu gehen oder gar zu verreisen, ehe das Kindchen getauft war, fand die Zeremonie fast immer in der sechsten oder siebenten Woche nach der Geburt statt. In strengen Familien galt sogar die Regel, dass die Taufe der erste Ausgang der Mutter sein sollte.»

Die Autorin lebte vom 9. November 1877 bis 7. April 1933. (Quelle: © Sarasin-Von der Mühll, Anna: Baslerisches aus der Feder von Anna Sarasin. Arlesheim 1967) 

Die ersten Jahre umschreibt Anna Sarasin-Von der Mühll nur kurz. Der wichtigste nächste Schritt im Basler Leben war der Konfirmationsunterricht.

«Sein erster Zahn, bei einem Büblein dann die ersten Hosen, waren Veranlassung zu Besuchen bei Paten und Grosseltern und zu Geschenken von «Fränkli» oder «Fünfliber». Man ging zur Schule, hatte «der blau Hueschte » oder «d'Rotsucht », man blieb sitzen oder nicht; endlich kam man «in Unterricht» und wurde konfirmiert. Während des Religionsunterrichts wurde streng darauf geachtet, dass der junge Christ durch keine Zerstreuungen von seinen ernsten Aufgaben abgelenkt wurde; jedes Vergnügen war verboten, nicht einmal Konzerte erlaubt. Die Tanzstunde hatte selbstverständlich aufgehört, Buben und Mädchen sahen sich offiziell nicht mehr; dass sie sich gar oft «zufällig » trafen, missfiel männiglich, war aber nicht zu verhindern.» 

«Nahte dann der grosse Tag, so hatte man seine Paten und Patinnen aufzusuchen, um sie zur Feier einzuladen, eine Aufmerksamkeit, die sie durch ein «passendes» Geschenk zu quittieren hatten. Wer nicht Uhr, Kette, Siegelring oder Manschettenknöpfe schenkte, warf sich auf klassische Literatur oder Erbauungsschriften oder wählte ein Andachtsbild, eine Fotografie oder Aquatinte nach Carlo Dolci oder Schnorr von Carolsfeld; beliebt waren auch die Mappen mit Richters Vaterunser.»

Nach diesem Ereignis dann der erste Schritt weg von der Familie. Die Konfirmierten, schon jungen Erwachsenen, verbrachten einige Zeit im Welschland, um dort erste Erfahrung fern von zuhause zu sammeln. 

«Unweigerlich folgte der Konfirmation das «Welschland». Jahrhundertalter Tradition gehorchend, ergoss sich im April und Mai ein Strom von Basler Eltern mit Söhnen und Töchtern an die Gestade des Neuenburger- und Genfersees; eifrige, ja hitzige Diskussionen gingen der Reise voran, denn die Frage: «Pensionat oder Familie»? spaltete jeden Familientag in zwei Lager.» 

Zurück in Basel, fing für die Mädchen das Warten auf einen Heiratsantrag an. Sie vertrieben die Zeit mit Haushaltskursen und dem Aufbauen ihres Freundeskreises.

Drei Freundinnen vor dem Waldhaus im Hardwald © Verschwundenes Basel 

«Zurückgekehrt, fing für die jungen Mädchen eine Existenz des Wartens und Erwartens an. Man nahm Kochstunden, Nähkurse, bei einigem Talent Sing- und Malstunden. Beherztere hörten Professor Wölfflins kunstgeschichtliche Vorlesungen und die französischen Literaturstunden von Herrn Pfarrer Tissot.»

Die Basler Burschen fassten, zurück aus der Romandie, ihren Beruf und begannen, an ihrer Karriere zu arbeiten.

«Für die Söhne kamen nun je nach der Berufswahl völlig verschiedene Beschäftigungen. Am typischsten für das alte Basel war wohl die Laufbahn des künftigen Bandfabrikanten, bei dem die einzige offene Frage hiess: Vorher Matur machen oder nicht? War dieser Punkt erledigt, so wusste er genau, was er vor sich hatte: Zuerst kam die Lehre im väterlichen Betrieb, ein Sommer auf der Filanda in der näheren oder weiteren Umgebung von Mailand, dann die Webschule in Lyon oder St. Etienne, dann interimistische Besuche in der Heimat, während welcher man sich tüchtig amüsierte und eventuell die künftige Lebensgefährtin vormerkte. Hierauf die längere oder kürzere «Fremde » - London, Paris, Berlin, New York-, je nachdem der Herr Vater Wert auf Erweiterung des Horizontes legte oder nicht.» 

Damit sich die Sprösslinge der sogenannt guten Gesellschaft kennenlernten und es - so hoffte man - zu einer standesgemässen Hochzeit kommen könnte, gab es verschiedene Anlässe: Im Winter die Schlittenfahrten sowie Tanzabende.  

Der Minerva-Schlitten auf dem Münsterplatz 1985. ©Werner Spichty/Historisches Museum Basel. 

«Hatten nun die verschiedenen Tanzgesellschaften und- bei günstiger Witterung- Schlittenfahrten ihr erhofftes Resultat gezeitigt, so setzte eines Abends zwischen Licht der Vetter Karl den Zylinder auf, um beim Vetter Fritz für seinen Sohn um die Hand der Tochter des andern zu bitten. Erfolgte ein Jawort, so begann die stereotype Serie der Ereignisse: Geheimtuerei, Einweihung der Nächsten mit entsprechenden Übelnehmereien der nicht früh genug Berücksichtigten, Familientage im intimen Kreis der kontrahierenden Parteien und endlich der erlösende Tag der offiziellen Deklaration. Zu dieser Tournee steckte man ein Bouquet von Nelken oder Rosen an, das der Erkorene in der Frühe geschickt hatte; dieser Blumenschmuck war früher ausser bei solchem Anlass so wenig gebräuchlich, dass es einer Dame, die zufällig mit einem angesteckten Nelkenstrauss über die Strasse ging, passieren konnte, daß ein vorbeigehendes Kind seine Mutter fragte: «Mamme, isch das e Brut ? » Die Anzeige einer Verlobung an die weitere Bekanntschaft geschah in Basel.»

Der Ablauf der Hochzeit war klar definiert. Der Tag selbst war in drei Abschnitte unterteilt, ein langer und anstrengender Tag für das Brautpaar.

«Die drei Abschnitte des großen Tages hiessen «Bruthus », oder «Zämmefahre», «Kirche» und «'s Esse». Eine Art Vorspiel zum «Bruthus» bildete der «Gobedag». Schon am frühen Morgen wurde im Esszimmer des Hauses der Braut alles umherstehende Porzellan und Silber weggeräumt und der Esstisch auf seine äusserste Länge ausgezogen, und die Braut und ihre Mutter stellten sich in Positur zur Entgegennahme der Geschenke. Im Verlauf des Tages hatte der Bräutigam und seine Mutter ebenfalls zu figurieren, Freundinnen und Cousinen kamen, hilfsbereit und neugierig. Eine wichtige Persönlichkeit ist nicht zu übergehen, denn sie hatte bei einem für Basel charakteristischen Ritus zu amten: Das war irgendeine als besonders praktisch und gut informiert bekannte Schwägerin oder Tante, die gebeten wurde, um beim Taxieren («bim Schetze») der einlaufenden Geschenke zu helfen... musste doch jede Hochzeitsgabe durch ein Trinkgeld an die Überbringenden im Betrag von 10 % ihres Wertes quittiert werden.» 

Die Garderobe am Hochzeitstag wandelte sich von der Braut in schwarzer Seide zur Braut im blauen Wollmantel.

«Am Morgen des Hochzeitstages fuhr man zur Ziviltrauung aufs Standesamt. Wie staunen ältere Leute, wenn sie heute die Braut auf dem Standesamt in blauem Cheviot und weichem Kragen sehen! Früher erschien die Jungfer Hochzeiterin in schwarzer Seide, der Herr Hochzeiter im Gehrock oder in der «Hätzle», die Trauzeugen ebenfalls «en cérémonie».»

Nach der Ziviltrauung, ging die Gesellschaft in das Haus der Brauteltern, wo Kaffee getrunken und die Geschenke begutachtet wurden. Danach folgte die kirchliche Trauung.

«Eigenartig berührte fremde Gäste immer die Tatsache, dass das junge Paar wohl Arm in Arm in die Kirche zog, sich aber vor dem Altar zu trennen hatte. Die Braut nahm in der vordersten Bank links zwischen den beiden Müttern, der Bräutigam rechts zwischen den Vätern Platz.  Übrigens spielte der Organist ausnahmslos als Einzugsmarsch «Tochter Zion, freue Dich»; nur für den Schlussmarsch schienen mehrere Möglichkeiten zu bestehen.» 

Das Hochzeitfest war mit dem Essen, Reden und Aufführungen untermalt. Auch eine besondere Peinlichkeit erwähnt Anna Sarasin-Von der Mühll.  

«Gleich nach dem Potage à la Reine beginnt die Reihe der obligaten Toaste, die historisch veranlagte Gäste auf ihren Menukarten verzeichnen. Früher gab es nach dem für Hochzeitsessen charakteristischen Sorbet die grosse Pause, die eine Kinderaufführung etwas langweilig, aber rührend ausfüllte; und die zweite Hälfte des Diners würzen auch heute die unprogrammmässigen Reden und die Verlesung der eingelaufenen Depeschen.

Beim Dessert wurde und wird noch heute den auswärtigen Hochzeitsgästen zum Erlebnis, was keine noch so drastisch schildernde Vorbereitung abschwächen konnte: Der B'haltis! Diese unappetitliche und kleinbürgerliche Angelegenheit näher zu beschreiben, werden Sie mir erlassen, kennen Sie doch alle zur Genüge diese mit Herzen, Pantoffeln, Hausschlüsseln und Ringen verzierten Papiertüten mit dem Monogramm des Brautpaares, die als eisernen Bestand ein Mandelherz, eine Tabakrolle, ein Aenisbrot und zwei Schenkeli bergen und deren weitere Füllung ein Vorgang von solcher Peinlichkeitist, dass er jedesmal von Neuem als grösster Schönheitsfehler einer sonst hübschen und in ihrer altfränkischen Eigenart sympathischen Feier wirkt. Aufführungen aller Art, bei denen der berühmte und berüchtigte Basler Witz Orgien feiert, folgen dem Aufheben der Tafel. Die Braut verteilt ihr Bouquet, tanzt den ersten Tanz (früher Tischwalzer genannt) mit ihrem Gatten und verschwindet nach einiger Zeit um sich zur Abreise umzuziehen. Von diesem Moment an senkt sich vor dem Basler Brautpaar ein Vorhang, den niemand zu lüften trachtet.» 

Nach der Hochzeitsreise begann das Basler Leben für das junge Ehepaar, das dem Rhythmus unserer Stadt folgte. 

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«Der Rhythmus des normalen Lebens umfasste die Sommerferien, die Heimkehr in die Stadt, eventuelle Herbstferien, die Messe, dann den Beginn der Abonnementskonzerte, der Aulavorträge, Nähvereine, Familientage, Vereinli (das Teekränzlein). Für die Herren kamen hinzu die Historische Gesellschaft, die damals noch dem weniger seriösen Geschlecht verschlossen war, und die Offiziersgesellschaft; die endlose Kette der Diners, die weniger häufigen Bälle; Weihnachten und Neujahr mit ihren tausend Verpflichtungen, denen «Me » sich beileibe nicht entziehen durfte; die Fasnacht, die eine Epoche markierte, auch wenn man kein engagierter «Fasnächtler » war; das Frühjahr mit seiner besonderen Veranstaltung, der «Putzete», die sogar in der «Dalbe» manche Hausfrau stark beschäftigte und manchen Hausherrn ärgerte.» 

Fast nirgends sonst ist der Lebensabend so angenehm, wie in Basel, schreibt Anna Sarasin-Von der überzeugt. Denn hier nähme man noch Rücksicht auf das Alter. 

«Und so nahte wieder der Sommer, der in der mit blühenden Gärten reichgesegneten Stadt einen besonderen Reiz hatte und noch hat. Hatte man die Last und Hitze des Tages getragen und war man nachgerade sechzig geworden, so war wohl Basel früher eine der angenehmsten Städte für alternde Herrschaften... ist es vielleicht noch heute. Die Etiquette verlangte weitgehende Rücksichten gegen das Alter, und die ganze Lebensweise in der kleinen Stadt begünstigte einen geruhigen Lebensabend.»

Ein typischer Basler Garten in der St. Alban-Vorstadt. (Quelle: © Sarasin-Von der Mühll, Anna: Baslerisches aus der Feder von Anna Sarasin. Arlesheim 1967) 

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