© Verschwundenes Basel
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  • Christine Staehelin / barfi.ch
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Was nur das Staatsarchiv weiss: Ihr Urgrossvater war ein Schwerverbrecher

Wenn Sie da nur nicht bloss plötzlich auf die Welt kommen : Wer im Staatsarchiv Familienforschung betreibt, entdeckt nicht nur berühmte Vorfahren, die einem mit Stolz erfüllen. Oben auf den Ausläufern des Münsterbergs lagern auch höchst unbequeme Leichen-Dokumente im Keller der Basler Familien.

Sobald man die steile Treppe vom Marktplatz zum Martinskirchplatz bezwungen hat, wähnt man sich in einer anderen Welt: Statt des Trubels in der Innenstadt herrscht mit einem Mal Ruhe. Denn dort ist das ehrwürdige Staatsarchiv Basel-Stadt zuhause. Das historische Gebäude erinnert an Mittelalter und Ritter, es ist eine Zeitreise, zumindest für die Kunden aus Übersee. Denn die landen dort, wenn sie sie sich auf die Spuren ihrer Familiengeschichte begeben. Gerade Stammbäume sind in den USA ein beliebtes Hobby.

«Es kommt manchmal vor, dass Amerikaner in unserem Lesesaal stehen», sagt Hermann Wichers, Leiter der Abteilung Benutzung im Staatsarchiv. Sie nehmen alle die Dienstleistung «Familienforschung» des Archivs in Anspruch. Denn egal, ob aus Zürich, Los Angeles oder vom Bruderholz: An der Martinsgasse sind sie an der richtigen Adresse.

Uneheliche Geburten en masse 

Bei dieser Suche kommt nicht selten Unerwartetes zutage. Zum Beispiel, wenn der Urgrossvater nicht Ur-Basler, sondern Italiener war. Dies kann erstaunen, ist aber doch kein Schock für die Nachfahren. Heikler wird es, wenn schützenswerte zusätzliche Informationen in der Einwohnerkontrolle vermerkt sind. Beispielsweise, wenn der Urgrossvater 1936 wegen einer schweren Straftat verurteilt worden war. «Diese Informationen geben wir jedoch erst preis, wenn die personenbezogenen Schutzfristen des Archivgesetzes verstrichen sind oder die nachfragende Person ein besonderes Interesse geltend machen kann», so Hermann Wichers fest. Das ist bei betroffenen Familienangehörigen in der Regel der Fall. Immer wieder kommen auch uneheliche Geburten zu Tage: «Das ist ganz sicher kein Phänomen der vergangenen Jahrzehnte», sagt der Archivar und lacht.

Die Angaben zu den Familien stammen von der grossen Einwohnerkontrolle, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Wenn es um Informationen aus der Zeit davor geht, finden sich die in den Kirchenbüchern. Je moderner die Verwaltung geworden ist, desto umfangreicher wird der Pool an Informationen. Heute fragen die Leute: Wer sind die Leute, die meine Vorfahren waren?  Und erhalten als Antwort Daten und Namen. Doch schon in einigen Jahrzehnten sind diese Informationen mit vielen Bildern und Videoaufnahmen angereichert. Die Familienforschung wird für unsere Nachfahren spannender und visueller. Zu den Namen gibt es dann Gesichter. Vielleicht auch Gesichter, in denen man sein eigenes wieder erkennt.

Lücken schliessen – und fündig werden 

Das Staatsarchiv Basel-Stadt bewahrt nicht nur alle Akten und Dokumente des Kantons auf, sondern bietet auch Dienstleistungen an. Die «Familiengeschichte» ist beliebt. Hermann Wichers bestätigt das: «Dieses Angebot ist ein Evergreen in der Benutzung des Archivs.» Viele Leute, darunter oft ältere Menschen, kommen ins Staatsarchiv und möchten den Stammbaum ihrer Familie ergänzen und erforschen. Wann wurden die Vorfahren geboren, wie viele Geschwister hatten sie und wie hiessen die Urgrosseltern? Es ist eine Rückbesinnung auf Herkunft, auf eine ganz persönliche Weltgeschichte, nämlich die der eigenen Familie.

Meist sind es Amerikaner oder Kanadier, deren Vorfahren aus der Schweiz ausgewandert sind und die nun ihre Familiengeschichte zusammenstellen möchten. Die Mitarbeiterinnen im Lesesaal können auf die genealogische Arbeitskartei hinweisen. Dort können die Suchenden eigenständig nach ihren Vorfahren suchen. «Oft müssen aber die Archivare selber recherchieren», erklärt Hermann Wichers, beispielsweise in den Registern der Einwohnerkontrolle: «Je mehr Informationen die Familienforscher haben, desto intensiver können wir suchen.» Und was dabei herauskommen kann, darauf kann sich der Abfragende schon mal vorbereiten.

Und wer schon einem im Staatsarchiv gelandet ist, tut gut daran abzuklären, wer die wirklich "alten Basler Familien" sind. Der "Daig" gehört nun ganz bestimmt nicht zu den Gründern unserer Stadt. Selbst Meiers und Müller waren lange vor ihm da. Doch auch diese fehlen in den Wurzeln unseres Stammbaums. Und so vornehm gewisse Geschlechtsnamen klingen: sie haben einen Migrationshintergrund, dessen Dauer oft wesentlich kürzer ist, als allgemein angenommen. Dennoch solch Einfluss und Ansehen zu erlangen, gelingt nur durch Leistung. Das darf durchaus auch einmal erwähnt werden. Und im Übrigen, wie sagte ein "besserer" Basler doch kürzlich gegenüber barfi.ch: "Dr Daig gibt's nyd, das glaube nur die, wo nyd zue nis gheere". 

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