Übersicht per Strichliste: Im «Manger & Boire» beim Barfi in der Basler Innenstadt. ©A.Schwald
Übersicht per Strichliste: Im «Manger & Boire» beim Barfi in der Basler Innenstadt. ©A.Schwald
  • Andreas Schwald
  • Aktualisiert am

Diese Tasse geht direkt ins Herz: Wir Basler sind Spitzenreiter beim Solidaritätskaffi

Kaffee zahlen, aber für jemand anderes? Ja, das geht. In der Schweiz heisst das Prinzip «Café Surprise» und existiert seit etwa zwei Jahren. Spitzenreiter beim Projekt ist Basel – am Rheinknie ist die Solidarität mit den Ärmsten am grössten. Zumindest, was das Spendieren von Kaffee angeht.

Kürzlich in der Beiz. Nachmittag, draussen frierts, Eisklötze statt Füsse. Lieber drinnen bleiben, Glatteis ist für Politiker. Am Nachbartisch zahlt einer und bestellt dazu noch einen «Kaffi Sürpris». Was zum Teufel ist das wieder? Kaffi Luz mit Überraschungszugabe? Nein: Der Mann packt sein Portemonnaie ein, zieht die Jacke an, zurück in die Kälte. Fehlt da nicht was?

Da fehlt nichts. Der «Kaffi Sürpris» ist kein Getränk, oder besser gesagt: kein Getränk für den, der es bezahlt. Es ist ein einfacher Kaffee Crème für den, der sich eigentlich gar keinen Kaffee leisten kann. Das Prinzip ist einfach: Man gibt einen Kaffee, ein anderer nimmt ihn. «Aufgeschoben», heisst das, «suspended» auf Englisch, und entstand vor langer Zeit in Neapel aus Solidarität. Bessergestellte spendieren Armutsbetroffenen ein warmes Getränk. Einlösen kann die spendierte Tasse, wer wirklich grad völlig abgerissen ist.

In der Schweiz hat sich das Prinzip vor zwei Jahren als «Café Surprise» etabliert. Der gleichnamige Verein, der auch das Strassenmagazin «Surprise» herausgibt, hat der Idee vor gut zwei Jahren einen Namen, ein Logo und eine minimale Organisation verpasst – und gleich mehrere Beizen haben sich angeschlossen. Vor allem in Basel und Bern beteiligen sich Cafés. In Zürich, Luzern und anderen Städten rollt das Projekt langsam auch an, wie die Projektverantwortliche Zaira Esposito vom Verein «Surprise» sagt. 

Basler Lokale haben die wärmsten Herzen

Spitzenreiter ist aber Basel, wo der Verein auch seinen Sitz hat. Hier sind die Cafés und ihre Gäste am solidarischsten, zumindest gemessen am Organisationsgrad. 40 Prozent aller «Café Suprises» gibts in Basel (zur Karte). Direkt in der Grossbasler Innenstadt allerdings nur im «Manger & Boire» an der Gerbergasse und im Café der Elisabethen-Kirche. Die anderen Lokale verteilen sich über die Quartiere. Das Prinzip des «aufgeschobenen Kaffees» kennen aber auch andere Lokale im In- und vor allem Ausland. Es sind vornehmlich Bars und Beizen, die sich noch mit ihren Quartieren verbunden fühlen, sich als Teil einer Gemeinschaft sehen und wissen, dass es überall Menschen gibt, für die selbst eine Tasse Kaffee reiner Luxus ist.

An diesem Logo soll man sie erkennen: Beizen mit «Café Surprise».

Im Kleinbasel ist das Lokal «Flore» ein Magnet fürs «Café Surprise». Der Betreiber Miron Landreau unterstützt das Projekt intensiv. Das «Flore» ist keine klassische Quartierspunte, sondern eine kleine Gastroperle an der Klybeckstrasse, die der ehemalige Opernsänger 2015 eröffnet hatte. Für Landreau eine Herzenssache, wie er sagt, denn er sehe ein Lokal in gewissem Mass auch als soziale Institution. Wo Menschen auf Menschen treffen, wo man eben unter Leute kommt.

Wer sind die Spender? «Ich war überrascht, als ich sah, wer häufiger einen aufgeschobenen Kaffee ausgibt», sagt Landreau. Es seien gerade Menschen, die selbst eine Notlage erlebt hatten und die auf so ein Angebot zurückgegriffen hätten. Von ihnen kämen die grössten Spenden. Und die Bezüger? Man kenne sich, sagt Landreau. Es seien Menschen, die auf Hilfe angewiesen seien, gerade im Quartier. Jetzt im Winter sei die Nachfrage etwas gesunken, «ich gehe davon aus, dass sie bei der Kälte eher zu Hause bleiben und weniger rausgehen.» Dafür würden die Spenden zunehmen, denn bei Eiseskälte erinnern sich die Menschen häufiger daran, dass es andere gibt, denen es weniger gut geht.

Kein Geschäft mit der Solidarität

Mit dem «Café Surprise» ist kein Geschäft zu machen. Die Spenden werden über eine separate Kasse gedeckt und betragen bis maximal 3.50 Franken pro aufgeschobener Tasse. Das deckt in etwa die Kosten, ohne zusätzlich eine horrende Marge einzufahren. Nur: Das Angebot soll auch benutzt werden. Es sei durchaus schon vorgekommen, dass es mehr Spenden als Konsumenten gab, sagt Zaira Esposito vom Surprise-Verein. Zum Beispiel an der Oetlinger-Buvette im Sommer. Die Kasse wird dann nicht aufgelöst und in die Betriebskasse geschüttet, sondern bleibt bestehen. Bislang habe Surprise damit gute Erfahrungen gemacht, sagt Esposito.

Basel ist also ein fruchtbarer Boden für Solidarität, jenseits von Parteigrenzen, oft aber immer noch diesseits von Einkommensgrenzen. Und auch die Beizer brauchen Mut: «Bei uns sind die Gäste gern gesehen», sagt Landreau, «aber natürlich gibt es auch Lokale, die keine armutsbetroffene Kundschaft sehen wollen.» Wer sich und sein Lokal als Teil einer Gemeinschaft sieht, der schneidet keinen Menschen, dem ein einziger Kaffee nicht nur Körper, sondern auch die Seele wärmt. Vor allem, wenn ja sowieso schon jemand den Kaffee bezahlt hat, der es auch vermag.

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